Der Faktor Zeit und ausufernde Dimensionen

Warum zieht das sich so lang, warum kommt die Baustelle der Alten Akademie nicht voran? Wir haben es in diesem Blog mehrmals thematisiert, während es andererseits Stadtpolitiker oder Presse nicht juckte und niemand außer staunenden Passanten das tunlichst ansprechen wollte, bis heute. 
Als Antwort auf eine an Oberbürgermeister Dieter Reiter gerichtete Anfrage erhielten wir immerhin am 31. Juli von der Lokalbaukommission ein Schreiben, Zitat: „Die Baustelle Alte Akademie ist an prominenter Stelle der Fußgängerzone natürlich immer präsent und die Umsetzung des geplanten Bauvorhabens dauert seine Zeit. Bei solch einer Größenordnung des Gebäudes ist es völlig normal, dass die Bauarbeiten länger andauern, auch weil hier durch die beengten Verhältnisse besonders auf die umlegende Bebauung Rücksicht genommen werden muss. Die Baustellenabwicklung steht vor diesem Hintergrund vor immensen Herausforderungen.“
Soweit richtig. Umbaubeginn war im Mai 2020, jetzt sind dreieinhalb Jahre vergangen, nach Ansage sollte eigentlich glanzvolle Eröffnung sein. Zu sehen ist dagegen eine Ruine, von der immer noch Teile rausgeschnitten werden, das Dach ist offen, vieles angefangen, nichts fertig, ein Drittel des Gesamtbaus steht noch garnicht. Derzeit ist es auf der Baustelle „sehr ruhig“, aber „kein Baustopp“ (Zitat aus der Immobilien Zeitung, die bei der Baufirma Porr nachfragen konnte). Selbst wenn voll hingelangt würde, könnte die Fertigstellung nicht vor 2026 sein. Was geht´s uns an, wenn statt der Alten Akademie dann ein Pseudo-Denkmal mit Resten der Renaissance und fast nichts mehr aus dem Wiederaufbauzeit dasteht und wir diese Brutal-Kommerzialisierung nur noch bedauern können? Gute Frage…
Der Faktor Zeit ist hier ein aussagekräftiger Maßstab für den Umfang der Zerstörung erhaltenswerter Substanz und die Verschwendung von Arbeit und Material.
Also warum zieht es sich nun so lange? 
Weil man das Projekt von vornherein einen Fall von gruppenhafter Selbstüberschätzung und Fahrlässigkeit nennen könnte. Angefangen beim Staat Bayern: privatisieren, möglichst teuer, dafür ohne Auflagen. Dann der Investor SIGNA: maximale Ausnutzung der guten Lage mit Vollentkernung, Vollunterkellerung, Teilabriss, Tiefgarage, neuer Dachstuhl und und und. Stadtplanungsreferat und Stadtrat: gut so, volle Zustimmung. Hat da irgendjemand gestutzt und mal bautechnisch überlegt? Nein, man ließ sich im Architektenwettbewerb die lobende Beschönigungsformel „minimale Eingriffe in die Bausubstanz“ vorsagen, es war ja der große Chipperfield dabei, Augen zu und sollen sie mal machen… Banken in öffentlichem Auftrag leisten sogar noch die Finanzierung. Boomtown-Euphorie ohne genauen Blick und mit gewisser Leichtigkeit. Minimale Eingriffe mutierten so zu immensen Herausforderungen, die den schönen Plan an die Klippe bringen.

Steht dieses Verhalten für sich allein? Parallelen bei nächsten Planungen gibt es.
Hauptbahnhof: Der Bauherr Deutsche Bahn hält an einem Uraltentwurf (2003, Auer u. Weber), einem Kommerz-Büro-Monster mit Flughafenattitüde fest, Baubeginn gegen Ende des Baus der Zweiten Stammstrecke, vorab schon mal ein Hochhaus mitten im Bahnsteigbereich, immer wieder neu aufgelegt mit Zustimmung des Stadtrats und nach wie vor gültig…
Türme an der Paketposthalle: Der Bauherr Büschl aus Grünwald will zwei Riesentürme von Schweizer Stararchitekten als „Stadtzeichen“, mit Luxuswohnungen und Büros am Ziel bezahlbarer Wohnungsbau vorbei, mit großer negativer Auswirkung auf die Umgebung, umstritten, jahrelange Großbaustelle mit Chance zum Scheitern… Der Stadtrat treibt diese Idee noch an und fordert weitere viele Hochhäuser…
Großmarkthalle: Ein Projekt der Stadt aber der Bauherr Büschl aus Grünwald hat schon die Hand drauf, Maximalentwicklung, Großmarkthalle +++, jahrelanges Hin und Her, die Stadt wartet auf Neues von Herrn Büschl… *
Karstadt Schützenstraße: Der Fiasko-Konzern SIGNA plant mit Chipperfield Abriss und Neubau, einen Fremdkörper wieder mit Kommerz und Büros, ein Milliardenprojekt auf Jahre in der Großbaustelle Innenstadt. Der Stadtrat war vollauf begeistert, ist zur Zeit aber trotz laufenden Bebauungsplan ohne Ahnung, wie es weitergeht, was der Bauherr will…
Vom Gasteig wollen wir hier nicht reden.

Diese kleine Liste der unheilvollen Kooperation Großinvestoren–Stadtrat ist plakativ formuliert, Fachleute können das sicher erweitern und viel besser vertiefen. Aber wer wird die hier beispielhaft sichtbare Hybris bremsen? Den Fokus auf machbare, rationale Lösungen für die notwendigen Aufgaben der Infrastruktur lenken, auf die Schaffung von leistbarem, menschenfreundlichen Wohnraum für die, die ihn dringendst brauchen? Auf weniger Beton und mehr Grün kurz vor der Klimakatastrophe? Auf Erhaltung von Bausubstanz statt verschwenderischem Neubau? Weg von der Kultur des Überkonsums, der Investorenfreiheit und dienstbarer Stadtbürokratie? Das Notwendige sparsam und gut machen. Die Antwort kann nur eine aufwachende und aufbegehrende Stadtgesellschaft geben, die sich nichts mehr vormachen lässt.

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* Nachtrag: am 21. November wurde ein neuer und abgespeckter Entwurf präsentiert.

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