Ruinen auf dem Pfad des Fortschritts?

Folgende Überlegung: Wenn wir in einer Zeit des Fortschritts leben (was durchaus zu bestreiten ist) und dieser Fortschritt geschaffen wird durch den menschlichen Antrieb infolge Profitaussicht – dann wäre der Ruin der SIGNA und der Alten Akademie nur ein Fehler, wie er in der besten Welt mal vorkommt als Bestätigung der Regel. Und genauso wird es jetzt in hunderten Artikeln rauf und runter geschrieben: ein Blender hat alle reingelegt, die Zinsen, irgendwie ein Sonderfall, nicht aufgepasst aber reparierbar, in der Hauptsache läuft es ja gut, der Mechanismus ist in Ordnung… Nein, ist er nicht.

Noam Chomsky hat in einem größeren Zusammenhang (dem der Klimaerhitzung und was in diesem planetarischen Notfall zu tun ist) den Mechanismus infrage gestellt: 

„Wenn das Streben nach Profit weiterhin die treibende Kraft bleibt sind wir verloren. Es wäre der größte Zufall, zu unwahrscheinlich, um ihn ernst zu nehmen, dass das Streben nach Profit auf magische Weise zum Ende von etwas so Profitablem wie der Verbrennung von fossilen Brennstoffen führen würde – oder selbst von geringeren Formen der Zerstörung. Bei aufmerksamer Betrachtung fällt auf, dass Marktsignale entweder völlig unzureichend sind oder aber vollständig in die falsche Richtung weisen. Die Befreiung der Atmosphäre von Kohlenstoff ist von außerordentlicher Dringlichkeit, aber für die Kapitalist*innen im Silicon Valley ist es viel weniger attraktiv, in langfristige Projekte ohne Aussicht auf große Gewinne zu investieren, statt in neue Features für das iPhone.
Die Vergötterung der Marktwirtschaft ist mittlerweile Teil des Alltagsverstands im Sinne Gramscis geworden, befördert durch eine gewaltige Propaganda, insbesondere während der Jahre des Neoliberalismus. Diese ‚Religion‘, um hier Stieglitz’ Begriff zu verwenden, basiert auf einem besonderen Verständnis der menschlichen Natur, das – um es gelinde auszudrücken – kaum überzeugend ist. Glauben wir wirklich, dass der Mensch es vorziehen würde, dahinzuvegetieren, wenn er nicht durch das Streben nach Profit zum Handeln getrieben würde? Oder könnte es womöglich doch sein – wie eine bestimmte Denkschule schon lange behauptet und die Erfahrung uns lehrt –, dass selbstbestimmte, Sinn stiftende und kreative Arbeit eine der Freuden des Lebens ist?
Es ist höchst irreführend zu behaupten, dass das Streben nach Profit in der Vergangenheit die treibende Kraft war, selbst im Bereich der industriellen Produktion. Denken wir erneut an den Computer und das Internet, jahrzehntelang hauptsächlich im staatlich-universitären Kontext entwickelt, bevor die Ergebnisse dieser kreativen Arbeit an die Privatwirtschaft für Zwecke der Vermarktung und Profitsteigerung weitergegeben wurden. Der Antrieb für diejenigen, die diese wichtige Arbeit geleistet haben, war nicht der Profit sondern die Neugierde und die Aufregung, ein herausforderndes und bedeutsames Problem lösen zu können. Das trifft für gewöhnlich auch auf andere Bereiche der Forschung zu, von denen heute das Wohlergehen unserer Gesellschaft abhängt. Es stimmt natürlich auch, dass vieles von dem in das profitgesteuerte Wirtschaftssystem eingeflochten wurde, aber dieses Vorgehen ist kein Naturgesetz. Die Gesellschaft könnte anders aufgebaut sein. Unternehmen, die in der Hand der Arbeiter*innen sind und von ihnen selbst verwaltet werden, haben höchstwahrscheinlich andere Prioritäten, als Gewinne für die Banken in New York zu generieren. Anständige Arbeitsbedingungen, genug Raum für die Initiative des Einzelnen sowie ausreichend Freizeit stehen auf der Liste vermutlich weiter oben. Wenn diese Unternehmen untereinander verbunden und Teil einer wahrlich demokratischen Gemeinschaft sind, entsteht womöglich etwas ganz anderes: geteilte Werke der gegenseitigen Hilfe und das Streben nach einem sinnvollen und erfüllenden Leben, anstatt immer mehr Güter anzuhäufen und diejenigen zu bereichern, die genügend haben, um zu investieren.
Können wir das realistischerweise erwarten? Wir wissen es nicht. Was ‚realistisch‘ sein wird, hängt zum Teil davon ab, wie wir uns entscheiden werden.“

Aus: Noam Chomsky & Robert Pollin, Die Klimakrise und der Global Green New Deal, 2021

Weitergedacht an einem Punkt am Ende des Zitats: „… diejenigen zu bereichern, die genügend haben, um zu investieren.“ 
War das nicht das Besondere? Benko hatte nicht genügend, d.h. kein eigenes Geld, zum investieren! Er musste es sich bei den wirklich Reichen und von Banken zusammenschnorren. Er war kein echter – ein geschwindelter Reicher. Ansonsten sollen ja „Werte“ geschaffen worden sein, die nun eben andere zum Schnäppchenpreis übernehmen. Gläubiger verlieren, andere gewinnen, der Lauf der Dinge. Abgesehen von dem Skandal, dass er das Geld nicht hatte, hat Benko aber mit seinen SIGNA-Managern dasselbe gemacht wie die „gestandenen“ Kapitalisten, wie die Ölkonzerne, die Rüstungsfirmen, die anderen Immobilienhaie, wie BMW, Amazon oder Deutsche Bank. SIGNA hat sich seine Nischen gesucht, wo extrem Profit zu machen ist, auf kurze Frist und nur im eigenen Interesse. SIGNA hat nichts wirklich erfunden, nichts Neues entwickelt, was für die Zukunft von Gebrauchswert ist, der Luxus der Reichen und Protzobjekte waren im Fokus, Karstadt und Kaufhof wurden lediglich geplündert. Also nichts anderes getan als die meisten anderen Leuchttürme der Profitwirtschaft „… immer mehr Güter anzuhäufen…“ – die nicht helfen werden, wenn die Ozeane steigen und die Äcker vertrocknen. Das Investitionspotential der Gesellschaft, das allen nützen sollte, wird sinnlos verbrannt.
Insofern sind die Ruinen, die SIGNA in München hinterlässt, ein kleiner Vorausblick auf die Ruinen, die in wenigen Jahren überall erkannt werden, wenn deutlich wird, dass mit dem meisten, worin heute investiert wird, nichts für die Zukunft geschaffen wurde. „Werte“ werden nur sein, was den Übergang zu fossilfreier Energieerzeugung bildet, was z.B. die Städte auf die Erderhitzung vorbereitet, was den sozialen Zusammenhalt fördert, den öffentlichen Verkehr ertüchtigt, was die Ressourcen schont und all das andere, was wir schon wissen. Die Profitwirtschaft hat einen existenziellen Notfall geschaffen und wird ihn weiter verschlimmern. Das ist die wahre Botschaft aus der Affäre Benko.

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