
Krall Dir was Du kriegen kannst … Den Letzten beissen die Hunde…
Aus einem Interview von Sebastian Krass mit Cornelius Mager, dem scheidenden Leiter der Lokalbaukommission, erschienen in der SZ vom 31. Oktober (Bezahlschranke):
Sie sind Mitglied der SPD. In ihrem Job mussten Sie auch viele andere Luxus-Wohnanlagen genehmigen, die den Charakter von Stadtvierteln verändert haben – das Gegenteil von sozialdemokratischer Wohnungspolitik.
Wenn man eine Behörde leitet, die für den Vollzug des Baurechts zuständig ist, dann ist kein Raum für parteipolitische Erwägungen.
Aber haben diese Entwicklungen Sie nicht beschäftigt, wenn Sie abends hier rausgegangen sind?
Eigentlich nicht, weil das die Kräfte des Marktes sind, die da wirken. Letztens hat mir das ein großer Bauträger so erläutert: Wenn er eine Wohnung für 20 000 Euro pro Quadratmeter verkaufen kann, dann kann er sie nicht für 18 000 Euro auf den Markt bringen. Weil der, der sie dann erwirbt, sie am nächsten Tag für 20 000 weiterverkauft. Ich habe in meiner Arbeit hier viel gelernt über Marktgesetze. Daran können wir als Baugenehmigungsbehörde nichts ändern, auch wenn wir wollten.
Die nächste logische Frage wäre gewesen: Würden Sie mit unseren Lesern Ihr Wissen um die Marktgesetze teilen, die unser aller Schicksal bestimmen? Sie wurde nicht gestellt…
Wir fragen deshalb seinen Namensvetter Cornelius Castoriadis*:
Der Kapitalismus ist dasjenige System, das darauf abzielt, mit allen Mitteln die Produktion – eine bestimmte Produktion, nicht zu vergessen – zu steigern und mit allen Mitteln seine „Kosten“ zu senken – Kosten, die, vergessen wir das auch nicht, sehr einschränkend definiert sind: weder die Umweltzerstörung, noch die Verödung des menschlichen Lebens, die Hässlichkeit der Städte, der umfassende Triumph der Unverantwortlichkeit und des Zynismus oder die Ersetzung der Tragödie und des Volksfestes durch die Fernsehserie gehen in diese Rechnung ein und könnten in irgendeiner derartigen Rechnung auftauchen. Um dieses Ziel zu erreichen, konnte der Kapitalismus sich auf eine in der Geschichte beispiellose Entwicklung der Technologie stützen, die er selbst auf tausenderlei Weise vorantrieb – eine Technologie, die zwar eine ebenso beschränkte Ausrichtung hatte, aber den angestrebten Zielen entsprach: Macht für die Herrschenden, Massenkonsum für die Mehrheit der Beherrschten, Sinnverlust der Arbeit, Ausschaltung der menschlichen Subjektivität in der Produktion. Doch das mächtigste Mittel bestand darin, alle vorherigen sozialen Bedeutungen zerstört und in die Seele aller oder fast aller die Sucht eingeimpft zu haben, sich das, was jedem in seinem Bereich zugänglich ist oder zu sein scheint, anzueignen und dafür praktisch alles in Kauf zu nehmen. Diese gewaltige anthropologische Veränderung kann deutlich gemacht und verstanden, aber nicht „erklärt“ werden.
Zu diesen Mitteln trat, ab einem bestimmten Zeitpunkt, also keinesfalls von Anfang an, die Umfunktionierung eines seit alters bestehenden institutionellen Mechanismus hinzu, des Marktes, der von allen Hemmnissen befreit und nach und nach auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt wurde. Weder war noch ist, noch wird dieser Markt, so lange der Kapitalismus existiert, jemals ein „perfekter“ Markt sein, noch nicht einmal wirklich ein Ort der Konkurrenz, nach dem naiven Verständnis der volkswirtschaftlichen Lehrbücher. Er war stets geprägt durch Eingriffe der Staatsmacht, Bündnisse von Kapitalisten, Zurückhaltung von Informationen, Manipulation der Konsumenten und offene oder verdeckte Gewalt gegen die Arbeiter. Er unterscheidet sich wenig von einem in Maßen gebändigten Dschungel, und wie in jedem Dschungel haben die Überlebensfähigsten überlebt und überleben weiter – abgesehen davon, dass diese Überlebensfähigkeit mit keinerlei sozialem Optimum zusammenfällt, nicht einmal dem Maximum einer Produktion, die durch Kapitalkonzentration, durch Oligopole und Monopole massiv beeinträchtigt wird, ganz zu schweigen von irrationaler Ressourcenallokation, ungenutzten Kapazitäten und dem Dauerkonflikt um die Produktion an den Arbeitsplätzen.
Den Markt gibt es also schon sehr lange als Austausch von Produkten und Dienstleistungen in einem ausgehandelten Verhältnis, auch gegen Geld. Der kapitalistische Markt dagegen ist kein Markt in rationalem und zwischenmenschlichem Sinne mehr. Seine Gesetze sind Herrschaft, Manipulation, Gewalt und Chaos.
Einen Vorteil allen anderen gegenüber besitzt Herr Mager, da er die nicht änderbaren „Marktgesetze“ kennt: Er weiß dann wohl auch, wie es mit den Überresten der Alten Akademie weitergeht, die dem kapitalistischen Markt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert wurde. Wir sehen schwarz, da wir unter den beteiligten Entscheidern keine am Allgemeinwohl orientierten Menschen erkennen, nur selbsterklärte Knechte in einem Dschungel, der Markt genannt wird.
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* Die „Rationalität“ des Kapitalismus (1999) in: Kapitalismus als imaginäre Institution, Verlag Edition AV, 2014